MEIN ALLTAG MIT MS
Multiple Sklerose: Therapeut:innen und Supportgruppen
Hi, ich bin Lea! Ich arbeite seit vielen Jahren als MS-Nurse in einer neurologischen und psychiatrischen Praxis und betreue Menschen mit MS. Mehr über die Aufgaben einer MS-Nurse gibt es in diesem Blogbeitrag zu lesen. Was ich bei meiner Arbeit jeden Tag sehen kann: Der Krankheitsverlauf der Multiplen Sklerose ist nicht vorhersehbar. Die Betroffenen haben einen individuellen Verlauf und jeweils auch individuelle Bedürfnisse.
Es gibt Krankheitsverläufe, die zu Mobilitätseinschränkungen, kognitiven Beeinträchtigungen oder auch psychischen Problemen führen können. Einige Symptome lassen sich gut mit Medikamenten behandeln. So kann es z. B. sinnvoll sein, schon im frühen Stadium der MS mit einer medikamentösen „Prophylaxe-Therapie“ zu beginnen, um das Fortschreiten des Krankheitsverlaufes zu verlangsamen. Meist wird jedoch eine Kombination aus medikamentösen und therapeutischen Maßnahmen empfohlen.
Welche nicht medikamentösen therapeutischen Maßnahmen gibt es für MS-Betroffene?
Mittlerweile gibt es ein breites Spektrum an Therapiemöglichkeiten für MS-Patient:innen. Je nach Beschwerden und Symptomen können diese von den behandelnden Fachärzt:innen an Therapeut:innen aus den folgenden Fachbereichen weitergeleitet werden:
- Physiotherapie (Krankengymnastik),
- Ergotherapie,
- Logopädie (Sprech- und Sprachtherapie, Schlucktherapie),
- Psychotherapie.
Physiotherapie
Sicher kein Geheimtipp, aber in meinen Augen essenziell: Die Physiotherapie ist wohl eine der wichtigsten und am häufigsten verschriebenen Therapien zur Verbesserung bzw. zum Erhalt der Leistungsfähigkeit bei einer MS-Erkrankung. Das Ziel der Behandlung ist es, die Kraft und Koordination im Alltag zu fördern. Die Physiotherapeut:innen schauen gezielt auf die jeweiligen Symptome der Betroffenen und können mit passenden Übungen zum Beispiel Spastiken, Schmerzen und Gleichgewichtsprobleme lindern. Mit Anleitung können neue Bewegungsabläufe in den Alltag integriert werden, um die Belastbarkeit zu erhöhen. Bei Blasenstörungen können auch Anleitungen für Beckenbodenübungen gegeben werden, um diesen zu stärken.
„DER GEIST IST WIE EIN FALLSCHIRM: ER FUNKTIONIERT NUR, WENN ER OFFEN IST.“
Walter Gropius
Ergotherapie
Einigen Patient:innen mit MS fallen, aufgrund von bestimmten Symptomatiken, die Tätigkeiten im Alltag immer schwerer. Die Ergotherapie trainiert zielgerichtet und individuell Alltagsaktivitäten, die durch die MS beeinträchtigt werden. Ob Schreiben, Essen, Trinken, Ankleiden, der Gang zur Toilette oder Wäsche waschen – die Therapeut:innen unterstützen individuell und symptomorientiert. Das Ziel ist es, krankhafte Haltungs- und Bewegungsmuster abzulegen und sich wieder normal im Alltag zu bewegen. Auch der Umgang mit Hilfsmitteln, wie zum Beispiel mit Greifzangen, speziellem Essbesteck oder Gehhilfen kann geübt werden. Die Behandlungen basieren auf gezielten Trainingseinheiten von grob- und feinmotorischen Fertigkeiten, der Schulung von Rumpf- und Gleichgewichtsfunktionen und der Verbesserung der Wahrnehmungsverarbeitung. Daher ist die Ergotherapie aus meiner Sicht sehr sinnvoll für Menschen mit MS, um Alltagsaufgaben trotz Einschränkungen weiterhin bewältigen zu können.
Logopädie
Sprache bestimmt wie kaum eine andere Fähigkeit unser Leben. Aber was, wenn diese Kommunikation nur eingeschränkt funktioniert? Mit solchen MS-Symptomatiken befasst sich die Logopädie. Das Ziel ist es, die Verständigung (wieder) zu verbessern, also die sprachlichen Einschränkungen zu reduzieren. Auch Schluckstörungen gehören zu den Aufgabengebieten der Logopädie. Bei der Schlucktherapie werden betroffene Muskelgruppen gezielt beübt, um das Spüren im Mundbereich, die richtige Haltung beim Schlucken und bewusste Strategien zu trainieren.
Psychische Unterstützung/Psychotherapie
Nicht selten wird die MS-Erkrankung von psychischen Symptomen begleitet. Dabei treten depressive Verstimmungen bis hin zu einer behandlungsbedürftigen Depression bei der Multiplen Sklerose am häufigsten auf.
Die Diagnosestellung folgt in der Regel zwischen dem zwanzigsten und vierzigsten Lebensjahr. Da die meisten Menschen in diesem Alter sich gerade orientieren, ihr Leben planen oder auch mitten im Leben stehen, geht mit einer neu diagnostizierten Multiple-Sklerose-Erkrankung oft auch eine starke psychische Herausforderung einher.
MS ist eine chronisch-entzündliche, neurologische Autoimmunerkrankung, die das zentrale Nervensystem betrifft und im Verlauf und in den Symptomen stark variieren kann. Die Diagnose dieser Erkrankung bedeutet oft einen tiefen Einschnitt in das bisherige Leben und kann viele Fragen und Unsicherheiten auslösen. Häufig erleben Menschen nach der Diagnose eine Phase des Schocks, in der Gefühle wie Angst, Trauer, Wut oder Verzweiflung im Vordergrund stehen. Viele Betroffene müssen sich zunächst mit der Ungewissheit auseinandersetzen, die MS oft mit sich bringt. Da die Krankheit in Schüben verläuft, bleibt unklar, wann und wie sich die nächsten Symptome zeigen oder ob sich der Zustand verschlechtert. Ich finde es ist absolut verständlich, dass diese Unvorhersehbarkeit die psychische Belastung erhöhen kann und für ein Gefühl der Hilflosigkeit sorgt.
In dieser Phase ist die Unterstützung durch Ärzt:innen, Therapeut:innen und das soziale Umfeld besonders wichtig. Hier kann zudem die Psychotherapie als unterstützende Maßnahme hilfreich sein. Ich würde MS-Patient:innen raten, vor allem in der Phase der Diagnoseverarbeitung, psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Ich habe zudem die Erfahrung gemacht, dass der Prozess der Krankheitsverarbeitung für viele Betroffene ein dynamischer Weg ist, der sich mit den Symptomen und dem Verlauf der Krankheit verändert. Und auch im weiteren Verlauf können Menschen mit MS durch psychologische Unterstützung bei ihrer Krankheitsverarbeitung gestärkt werden. Sie kann ihnen helfen, Strategien zur Stressbewältigung und Akzeptanz zu entwickeln und so letztendlich Ängste und depressive Verstimmungen lindern.
Nicht zu unterschätzen: Kontinuität der therapeutischen Maßnahmen
Die hier beschriebenen therapeutischen Maßnahmen leben von der Beständigkeit. Die Regelmäßigkeit und Dauer der Behandlungen spielen eine entscheidende Rolle zur Verbesserung der Symptome. In vielen Fällen ist das regelmäßige Durchführen von Übungen, die Therapeut:innen mit auf den Weg geben, essenziell. Und es begegnet mir in der Praxis immer wieder, dass es vielen Patient:innen mit MS sehr schwerfällt, genau diese Motivation zur stetigen Umsetzung der therapeutischen Maßnahmen im Alltag aufzubringen.
Was kann man hier tun? Einige Ideen, die ich meinen MS-Patient:innen mit auf den Weg gebe:
- Konkrete Ziele wie „10 Minuten täglich üben” oder „zweimal pro Woche zur Physiotherapie” sind besser als vage Vorstellungen.
- Routinen entwickeln, d. h. die Maßnahmen in die tägliche Routine einbauen, z. B. zur gleichen Uhrzeit oder in Verbindung mit anderen Aktivitäten (wie direkt nach dem Frühstück oder vor dem Schlafengehen).
- Fortschritte dokumentieren, schriftlich oder mit einer App, und kleine Belohnungen für konsequentes Dranbleiben, z. B. ein entspannter Abend.
- Unterstützung suchen bei Freund:innen, Familie oder beim Austausch mit anderen Betroffenen (zum Beispiel in Foren oder Selbsthilfegruppen).
Support durch andere Menschen mit MS
Der Austausch mit anderen Menschen, die an MS erkrankt sind, ist sehr wertvoll für die meisten Betroffenen – das merke ich in der Praxis immer wieder. Selbsthilfegruppen bieten Betroffenen einen sicheren Raum zum Austausch, zur gegenseitigen Unterstützung und zur Weitergabe von Erfahrungen im Umgang mit der Krankheit.
MS ist eine chronische und oft unvorhersehbare Krankheit, die das Leben auf vielfältige Weise beeinflussen kann. In Selbsthilfegruppen haben Betroffene die Möglichkeit, mit Menschen in ähnlichen Situationen zusammenzukommen, die Herausforderungen des Alltags zu besprechen und gemeinsame Lösungsansätze zu finden. Hier finden sie Verständnis und Akzeptanz, weil die anderen Teilnehmer:innen oft ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Dies schafft ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und stärkt das Selbstvertrauen. Auch für Angehörige von MS-Betroffenen kann ein solcher Erfahrungsaustausch wertvoll sein und dabei helfen, erkrankte Verwandte, Freund:innen oder Partner:innen besser unterstützen zu können.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten eine Selbsthilfegruppe zu finden
Um eine Selbsthilfegruppe für MS zu finden, gibt es verschiedene Möglichkeiten und Anlaufstellen. Zahlreiche Organisationen und Plattformen unterstützen MS-Betroffene und helfen dabei, lokale und Online-Selbsthilfegruppen zu finden, u. a. die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG).
Neurologische Fachkliniken, Reha-Zentren und MS-Ambulanzen sind ebenfalls wertvolle Anlaufstellen, um sich nach Selbsthilfegruppen zu erkundigen. Oft sind sie über lokale Gruppen gut informiert und arbeiten mit ihnen zusammen. Auch viele Krankenkassen in Deutschland unterstützen Selbsthilfegruppen und führen Listen von Gruppen, die in verschiedenen Regionen angeboten werden.
Für Menschen, die nicht an einen festen Ort gebunden sein möchten oder Schwierigkeiten haben, an Präsenztreffen teilzunehmen, gibt es auch online eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Vernetzung über zahlreiche MS-Online-Communities und Foren.
Abschließend
Mir ist es wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass jeder Krankheitsverlauf individuell ist und auch so behandelt werden sollte. Genau wie jeder Mensch unterschiedliche Bedürfnisse, Wünsche und Ansprüche hat. Wichtig ist, dass jede:r MS-Betroffene die Entscheidung über ihre bzw. seine Therapien selbst trifft und das tun sollte, womit sie bzw. er sich am wohlsten fühlt.
Bloggerin Lea
Ich bin Lea, eine engagierte Medizinische Fachangestellte, die ihre Leidenschaft für die Unterstützung von Menschen mit Multipler Sklerose (MS) lebt. Seit meiner Zertifizierung als MS-Spezialistin vor 7 Jahren setze ich mich intensiv für MS-Betroffene ein. Mein Fokus liegt nicht nur auf medizinischer Beratung, sondern auch auf emotionaler Unterstützung. Durch meine Überzeugung von einem ganzheitlichen Ansatz im Umgang mit MS teile ich mein Wissen und meine Erfahrung. Erfahre mehr auf meinem Instagram-Account @lea_ms_nurse.
Tipp
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Disclaimer
Diese allgemeinen Informationen haben nicht die Absicht, eine Erkrankung zu diagnostizieren oder medizinisches Fachpersonal zu ersetzen. Um die beste Beratung für Ihre Krankheit sowie Antworten auf Ihre medizinischen Fragen zu erhalten, sollten Sie einen Mediziner konsultieren. Nur ein Arzt kann Ihre Lage vollumfänglich und angemessen einschätzen und entscheiden, welche Behandlungen erforderlich sind.