MEIN ALLTAG MIT MS
MS aus der Sicht einer Angehörigen
Wir haben mit Ute gesprochen, der Mutter von Samira, die ihre MS-Diagnose im Alter von 24 Jahren erhalten hat. Im Gespräch teilte sie uns mit, wie diese Herausforderung ihre Beziehung zu Samira noch enger und stärker gemacht hat. Es war inspirierend zu sehen, wie sie trotz aller Widrigkeiten mit positiver Energie und Zuversicht dem MS-Krankheitsbild ihrer Tochter begegnet.
Können Sie uns kurz berichten, wie Sie die Diagnose Ihrer Tochter erlebt haben?
Als meine Tochter wegen starker Kopfschmerzen und Sehstörungen ins Krankenhaus eingewiesen wurde, war ich gerade auf einer Urlaubsreise in Indien. Die Befürchtung „Sehnerventzündung“ schien sich zu bewahrheiten. Erste Recherchen brachten schnell das bedrohliche Wort „Multiple Sklerose“ ins Spiel, denn sie zeigten, dass eine Sehnerventzündung sehr oft eines der ersten MS-Symptome ist. In diesem Moment gingen mir so viele Fragen durch den Kopf: „Sollte meine Tochter diese unheilbare Krankheit haben? Wie geht es ihr mit dieser recht wahrscheinlichen Diagnose? Wird mein Kind im Rollstuhl landen? Welche Szenarien gehen ihr durch den Kopf? Soll ich meinen Urlaub abbrechen und zu ihr fahren?“
Wir telefonierten über Skype. Sie wollte nicht, dass ich den Urlaub abbreche, weil ich ja damit gar nichts ändern konnte. Es war sehr schwer für mich, denn in dieser schwierigen und auch lebensverändernden Situation wäre ich sehr gerne nah bei ihr gewesen. Erst zwei Wochen später konnte ich sie dann in die Arme nehmen.
Was das Krankheitsbild MS wirklich bedeutet und dass sie auch mit dieser Krankheit ein ziemlich normales Leben führen kann, das haben wir glücklicherweise später lernen können.
„DIE FAMILIE IST WIE EIN ANKER. ZUSAMMENHALT IN STÜRMISCHEN ZEITEN — HEIMATHAFEN.“
Wie hat sich Ihr Alltag seit der Diagnose verändert?
Anfangs habe ich sehr viel zum Thema gelesen und meiner Tochter Vorschläge gemacht, wie sie ihr Leben verändern könnte. Zum Beispiel, dass sie bitte das Rauchen aufgeben soll, weil es insbesondere bei MS sehr schädlich ist. Sie entgegnete mir, ihr Neurologe hätte gesagt, sie solle ihr Leben einfach weiterleben. Möglicherweise ist das für eine 24-jährige junge Frau erst einmal ein Rat, der beruhigt. Aber ich habe und hatte immer großes Vertrauen in meine Tochter und letzten Endes kam sie selbst recht schnell zu der Einsicht, dass sie mit einem gesünderen Lebensstil und einer ausgewogenen Ernährung bei MS bessere Chancen hatte, Schübe zu verhindern.
Wie haben Sie Ihre Tochter in den verschiedenen Phasen — nach der Diagnose, im Verlauf ihrer Krankheit — erlebt und unterstützt?
Ich erinnere mich gut an die Zeit, als meine Tochter ihre MS-Therapie begann und ihr erstes Medikament zur Basistherapie einnahm. Das war eine sehr harte Zeit, denn sie hatte starke Nebenwirkungen. Als das Einschleichen endlich geschafft war, ging es ihr besser. Jedoch machte das Medikament sie sehr anfällig für Infekte. Ich denke, ich war meist die erste Ansprechpartnerin, wenn es meiner Tochter schlecht ging. Wichtig ist es, immer ein offenes Ohr zu haben und zu trösten, wenn die Verzweiflung groß ist. Für sie da sein, Mut machen, dass es wieder besser wird und einfach mal vorbeifahren und sie in den Arm nehmen – oft sind es die kleinen Dinge, die sehr wichtig sind.
Wie beeinflusst Multiple Sklerose die Beziehung zu Ihrer Tochter und Ihrer Familie insgesamt?
Ich muss sagen, dass Samira wirklich viel Glück hat, einen leichten Verlauf des Krankheitsbildes MS zu haben. Dafür bin ich, dafür sind wir unglaublich dankbar. Die Krankheit spielt deshalb in unserer Familie nicht so eine große Rolle. Natürlich kann es sein, dass sie zu bestimmten Zeiten nicht so belastbar ist. Allerdings setzt sie ihre Grenzen, die wir respektieren. Ich bin sehr erleichtert, dass meine Tochter immer besser auf ihre eigenen Grenzen achtet. Das ist sicher eine Lektion, die die Krankheit sie gelehrt hat. Und damit ist sie eine Vorreiterin in unserer Familie. Auf die eigenen Grenzen zu achten, ist schließlich nicht nur für MS-Patient:innen eine gute Strategie.
Wie schaffen Sie es, trotz der Belastungen positive Momente zu erleben?
Die Krankheit hat meine Tochter sehr stark gemacht. Stark in einem neuen Sinne: besser mit sich selbst umzugehen, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und einen gesunden Lebensstil zu pflegen. Das sind Entwicklungen, über die ich mich sehr freuen kann. Es erfüllt mich auch mit Stolz, dass Samira mit ihrem Blog „chronischfabelhaft“ vielen MS-Patient:innen Mut macht und Aufklärungsarbeit leistet. Dass eine chronische Krankheit wie MS auch dazu führen kann, bewusster zu leben, ist eine Erkenntnis, die sie in ihrem Blog und ihren Auftritten in den sozialen Medien immer wieder verbreitet und Betroffene motiviert, sich den Herausforderungen positiv zu stellen.
Gibt es Strategien oder Routinen, die Ihnen besonders helfen, mit dem Thema MS umzugehen?
Ich denke, es ist sehr wichtig, zu hören, was meine Tochter sagt. Die Betroffenen selbst können uns den Weg zeigen. Es ist ihr Körper, und sie fühlen, wie es ihnen geht. Verständnis dafür zu haben, wenn bestimmte Grenzen erreicht sind, und immer wieder nachfragen, wenn ich nicht weiß, wie ich mit bestimmten Aussagen oder Einschränkungen umgehen soll. So lerne ich ständig dazu, wie das Leben mit Multipler Sklerose ist.
Welche Ratschläge, Tipps würden Sie anderen Angehörigen geben?
Ich denke, es ist wichtig, nicht den Mut zu verlieren und zu versuchen, den möglichen Schreckensszenarien nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Das ist nicht leicht, aber es ist wichtig, sich nicht nur von Ängsten und Sorgen leiten zu lassen. Unterstützen Sie Ihre erkrankten Angehörigen dabei, besser auf sich selbst und den eigenen Körper zu achten, liebevoller mit sich umzugehen und die Krankheit nicht als Feind zu sehen, den man bekämpfen muss. Akzeptanz ist der erste Schritt für ein besseres Leben mit Multipler Sklerose.
Und wie bereits oben erwähnt, glaube ich, dass wir die erkrankten Familienangehörigen besser unterstützen können, wenn wir genau hinhören und hinspüren. Das musste ich auch erst lernen.
Gibt es etwas, das Sie sich von der Gesellschaft oder dem Gesundheitssystem wünschen würden, um Ihre Situation zu verbessern?
Ich würde mir wünschen, dass Ganzheitlichkeit und Achtsamkeit stärker in den Fokus rücken. Es wäre großartig, wenn die Forschung in diesen Bereichen besser unterstützt würde und alternative Therapien wie Akupunktur von den Krankenkassen übernommen würden.
Ich heiße Samira und lebe seit 2013 mit schubförmiger MS
Mittlerweile viele Jahre schubfrei, aber natürlich gehören auch zu meinem Alltag MS-Symptome dazu. Auf meinem Blog www.chronisch-fabelhaft.de, auf meinem Instagram Account @chronischfabelhaft und in meinem „Mutige Stimmen“ Podcast kläre ich dazu auf, wie ein erfülltes, selbstbestimmtes und zuversichtliches Leben mit der Multiplen Sklerose gelingen kann.
Darüber hinaus bin ich seit 2021 Teil der #spürgenauhin-Kampagne von Almirall, die es sich zum Ziel gesetzt hat, über Spastik bei MS und die damit verbundenen Symptome aufzuklären.
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Disclaimer
Diese allgemeinen Informationen haben nicht die Absicht, eine Erkrankung zu diagnostizieren oder medizinisches Fachpersonal zu ersetzen. Um die beste Beratung für Ihre Krankheit sowie Antworten auf Ihre medizinischen Fragen zu erhalten, sollten Sie einen Mediziner konsultieren. Nur ein Arzt kann Ihre Lage vollumfänglich und angemessen einschätzen und entscheiden, welche Behandlungen erforderlich sind.