MEIN ALLTAG MIT MS
MS und Psyche – Vom Umgang mit Enttäuschungen
Enttäuschung – das ist eine Erfahrung, die jeder Mensch mehrfach in seinem Leben macht, möglicherweise sogar machen muss. Vielleicht ein wenig häufiger, wenn man von MS oder einer anderen chronischen Erkrankung betroffen ist. Im Allgemeinen werden Enttäuschungen mit schlechten Gefühlen, Verletztheit oder Traurigkeit in Verbindung gebracht. Und doch kann es sich manchmal lohnen, enttäuscht zu sein. Denn wer enttäuscht ist, der hat sich zumindest von einer Täuschung befreit. Er kann Dinge klarer sehen, auf die der Blick bisher durch falsche Annahmen verstellt war.
Wie Enttäuschung bei MS entsteht
MS und Psyche – hängt das zusammen? Ja! Denn emotionale Auswirkungen der MS kommen im Leben mit MS bei jeder und jedem vor. Eines dieser Gefühle ist Enttäuschung und die ist selten angenehm. Wenn Sie allerdings wissen, wie Enttäuschungen entstehen, können Sie besser damit umgehen und sie fallen dann meist weniger schwer aus.
Eine Enttäuschung entsteht gewissermaßen in den Gedanken. Darin, wie wir eine Situation, unser eigenes Verhalten oder das eines anderen Menschen bewerten. Enttäuschung entsteht, wenn etwas nicht unseren Vorstellungen entsprochen hat wie zum Beispiel
- Erwartungen, die man an sich selbst stellt
- Erwartungen, die andere an einen stellen
- Erwartungen, die man an andere stellt
Und Erwartungen an sich selbst und andere sind in diesen Zeiten der Selbstoptimierung unendlich hoch. Was nicht perfekt zu sein scheint, wird einfach ignoriert. Und man kann so weit gehen, zu sagen: Je höher die Erwartungen (heute eben oft perfekt), desto größer die mögliche Enttäuschung. Das Heimtückische an Enttäuschungen ist, dass sie sich – sofern sie oft und intensiv von einem Menschen erfahren werden – als ein Gedankenmuster in die Psyche einschreiben können. Und so kann aus einem eigentlich heiteren Menschen Stück für Stück, Enttäuschung für Enttäuschung, eine Person werden, die sehr oft schwarzsieht.
„DAS GEFÜHL KANN VIEL FEINFÜHLIGER SEIN ALS DER VERSTAND SCHARFSINNIG.“
Viktor Frankl
Erwartungen anpassen?
Ist der Umkehrschluss also der, dass Sie einfach keine Erwartungen mehr an das Leben haben sollten, um Enttäuschungen gar nicht erst entstehen zu lassen? Nein, das ist selbstverständlich keine Option. Und das ist praktisch ja auch gar nicht möglich, denn irgendetwas treibt uns Menschen immer an. Gleichzeitig ist es natürlich so, dass die Multiple Sklerose immer wieder neue Herausforderungen an Sie herantragen wird. Und Sie Ihr Leben immer wieder an die Symptome der MS anpassen muss. Diese wahrlich große Leistung, sich immer wieder neu anzupassen, nennt man übrigens Resilienz.
MS und emotionale Bewältigung: Wo Enttäuschungen entstehen können
Um gut mit MS zu leben, lohnt die Überlegung, wo einem häufiger Enttäuschungen begegnen können:
- Enttäuschung über sich selbst und den eigenen Körper: Die Diagnose verändert vieles – Lebensträume, Lebensziele, seien sie beruflich oder privat. Hinzu kommen die Symptome wie Spastik oder körperliche Einschränkungen, die hin und wieder einen lang- oder kurzfristig gemachten Plan umwerfen.
- Enttäuschungen in der Behandlung: Sie haben vielleicht sehr hoffnungsvoll eine neue Therapie begonnen. Sie versprechen sich sehr viel davon (da ist sie wieder, die Erwartung …). Bald aber zeigt sich, dass die Behandlung anscheinend doch nicht so gut wirkt wie erwartet, auch die Nebenwirkungen sind mehr als gedacht.
- Enttäuschung über andere: Ihr privates und/oder berufliches Umfeld unterstützt Sie in Ihrem Leben mit der MS vielleicht nicht so, wie es sich gewünscht hätten.
- Hinzu kommen weitere Gefühle: MS und Angst kann ein Thema sein – zum Beispiel vor dem nächsten Schub. MS und Trauer können sich koppeln – Trauer darüber, dass sich einige (Lebens-)Träume ändern. Und dann ist man womöglich enttäuscht von sich selbst, da man doch eigentlich stark (= perfekt) sein möchte. Insofern machen MS-Symptome etwas mit der Psyche. Sich dies zuzugestehen ist die beste Voraussetzung dafür, mit den ständigen Veränderungen so gut wie möglich zurechtzukommen.
Enttäuschung bei MS als Chance
Sicherlich nicht alle, aber einige Enttäuschungen bieten das Potenzial, aus ihnen zu lernen. Denn meist ist es ja so: Scheitert ein Plan A, setzt Enttäuschung ein. Ist die verdaut, beginnt der Mensch darüber nachzudenken, wie Plan B aussehen könnte. Denken Sie an dieser Stelle doch einmal über Ihre vermutlich zahlreichen B-Pläne in Ihrem bisherigen Leben nach … War Plan B nicht manchmal sogar besser als die erste Wahl? Denn Plan B ist meist reicher – reicher um die Lernerfahrung aus dem Scheitern.
Tipps zum Umgang mit Enttäuschungen — Nicht nur für Menschen mit MS
Stellen Sie sich nach Ihrer nächsten Enttäuschung einfach einmal folgende Fragen:
- Was bedeutet diese Enttäuschung nun für mein Leben?
- Was in meinem Leben ist vielleicht wichtiger als das Scheitern des Plans A?
- Kann ich aus dieser Erfahrung Schlüsse ziehen und etwas daraus lernen?
- Entsagen Sie dem Zwang zur Selbstoptimierung! Wer schreibt Ihnen eigentlich vor, wie Sie zu sein und sich zu verhalten haben? Haben Sie einen klaren Blick auf sich und Ihren Körper. Sehen Sie, was für Sie möglich ist und dann sagen Sie: Hier bin ich und genau so bin ich. Das ist vielleicht nicht perfekt, aber es ist ziemlich gut.
- Gestehen Sie sich selbst und anderen die Enttäuschung ein: Enttäuschungen sind Teil des Lebens, sie sind ein zutiefst menschliches Gefühl. Reden Sie darüber, das allein nimmt schon jede Menge Druck.
- Verzeihen Sie sich selbst: Jeder Mensch macht Fehler. Seien Sie daher nicht zu hart zu sich selbst oder anderen, wenn Sie sich enttäuscht fühlen.
- Versuchen Sie, eine Enttäuschung als eine Enttäuschung zu begreifen: Eine Art Befreiung von der Täuschung also. Es ist vielleicht nicht so, wie Sie es sich erträumt haben – es ist eben anders. Auch wenn es schwerfallen mag, das zu akzeptieren: Enttäuschungen machen realistischer.
- Bleiben Sie optimistisch und realistisch: Natürlich ist es normal, nach einer Enttäuschung eine Weile Trübsal zu blasen. Auch sollen Sie Ihre Erwartungen an sich und andere nicht auf Null herunterschrauben. Sobald Sie aber spüren, dass Sie zur alten Form zurückfinden, versuchen Sie möglichst optimistisch und wirklichkeitsnah auf eine Situation zu blicken.
- Lösungen suchen: Mit einem realistischen Blick auf die Situation ist es deutlich einfacher, eine Lösung zu finden. Und wer sich zusätzlich austauscht mit anderen Menschen, vielleicht in einer MS-Selbsthilfegruppe, sieht womöglich bald neue Perspektiven.
MS: Auswirkungen auf die Psyche — achten sie auf sich
All diese „klugen“ Ratschläge helfen nur dann weiter, wenn Sie gut auf sich selbst achten! Sie kennen sich ja schon eine Weile und können sich einschätzen. Haben Sie den Eindruck, sich nicht aus eigener Kraft aus einem Stimmungstief befreien zu können, zögern Sie nicht, sich Unterstützung zu suchen.
Im privaten Umfeld: Seien Sie ehrlich gegenüber Ihrer Familie und Ihren Freund:innen. Sagen Sie offen, dass Sie mit Ihrer Situation derzeit hadern. Emotionale Auswirkungen von MS in sich zu vergraben, erhöht nur den psychischen und emotionalen Stress.
Psychotherapie bei MS: Suchen Sie psychologische Beratung oder eine Psychotherapie. Die (kognitive) Verhaltenstherapie bei MS ist beispielsweise eine Option. Sie hilft dabei, negative Denkmuster zu erkennen und zu verändern. Die Profis können Sie auch allgemein beraten zum Leben mit MS und den psychischen Belastungen und können Ihnen beispielsweise Anleitung für Entspannungs- oder Achtsamkeitstechniken geben.
MS-Selbsthilfegruppe: Suchen Sie sich eine MS-Selbsthilfegruppe in der Nähe. Spätestens dort können Sie offen über alles reden und erhalten Alltagshilfen und Tipps für den Umgang mit MS.
Tipp
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Disclaimer
Diese allgemeinen Informationen haben nicht die Absicht, eine Erkrankung zu diagnostizieren oder medizinisches Fachpersonal zu ersetzen. Um die beste Beratung für Ihre Krankheit sowie Antworten auf Ihre medizinischen Fragen zu erhalten, sollten Sie einen Mediziner konsultieren. Nur ein Arzt kann Ihre Lage vollumfänglich und angemessen einschätzen und entscheiden, welche Behandlungen erforderlich sind.