THERAPIE GEGEN SPASTIK BEI MULTIPLER SKLEROSE
Therapie gegen Spastik bei Multipler Sklerose
MS-Spastik: Therapiemöglichkeiten
Ein Behandlungsziel der Spastik ist, die Lebensqualität bestmöglich zu erhalten – möglichst über viele Jahre. Weitere Ziele der Spastik-Therapie sind:2
- Verbesserung motorischer Funktionen unter Berücksichtigung einer möglichen Stützfunktion der Spastik,
- Reduktion spastikbedingter Schmerzen,
- Steigerung von Mobilität und Alltagsaktivitäten,
- Erleichterung pflegerischer Maßnahmen,
- Vermeidung von Komplikationen (Kontrakturen, Dekubitalulzera)
Wie behandelt man eine Spastik?
Die Spastik-Therapie ist vielschichtig und startet nach einer umfassenden Diagnose meist mit nicht medikamentösen Maßnahmen wie Physiotherapie und/oder physikalischer Therapie. Erst wenn diese Möglichkeiten erschöpft sind und sich die Spastik darüber nicht mehr ausreichend lindern lässt, kann eine medikamentöse Therapie einsetzen. Wichtig dabei ist, dass das Behandlungsteam mit Ihnen Therapieziele definiert. Denn manchmal benötigt der Betroffene eine „Restspastik“, um z. B. seine Stehfähigkeit oder Rumpfstabilität zu erhalten.
Spastik vermeiden
Eine Spastik lässt sich am besten vermeiden, indem man die Auslöser kennt und meidet. Typische Auslöser für eine Spastik im Alltag sind bei jedem Menschen verschieden.
Beispiele sind:
- Harnwegsinfekte
- volle Blase
- Schmerzen
- Verstopfung
- zu wenig Schlaf
- Wärme oder Kälte
- Stress
- zu enge Kleidung
- schlecht angepasste Hilfsmittel3
Wer seine Trigger, so nennt man die Auslöser, kennt, sollte versuchen sie zu meiden. Was auch immer lohnt ist ein Blick in Internetforen von Betroffenen oder der Besuch einer Selbsthilfegruppe. Dort sind die Menschen, die sich am besten auskennen mit dem Symptom Spastik. Und sie werden nicht zögern, ihre Tricks, Strategien und „Hausmittel“ der Therapie gegen Spastik weiterzugeben. Auch regelmäßige Bewegung und Physiotherapie können Spastiken lindern und lösen.
Spastik lösen und vorbeugen: Physiotherapie
Physiotherapie ist ein wichtiger Teil der Spastik-Therapie. Denn die Physiotherapie ist der Meister der Bewegung. Durch Spastik, die ja manchmal lange nicht erkannt wird, können Fehlhaltungen und Bewegungsmuster entstehen, die z. B. Beine oder den Rücken überlasten. Fehlhaltungen ergeben sich dadurch, dass der Körper versucht, eine vielleicht kaum merkliche Spastik über kleine Bewegungen oder angepasste Haltungen auszugleichen, d. h. zu kompensieren. Das ist an sich sehr klug vom Körper und für eine kurze Zeit auch nicht schlimm. Dauerhaft allerdings führen solche Kompensationen zu Schmerzen und Verschleiß an den Gelenken.
Physiotherapeut*innen schauen sich das Gangbild an und geben Tipps, wie sich einzelne Bewegungsabläufe so verbessern lassen, damit Folgeschäden unwahrscheinlicher werden. Sie geben zudem Tipps für eine natürliche Bewegung oder erstellen über einen körperlichen Test Trainingsprogramme. Auch zeigen sie, wie sich z. B. der Beckenboden bei Störungen der Blase stärken lässt. Außerdem ist die Physiotherapie eine der Fachgebiete, die Spastik aufspüren und über Messskalen bestimmen kann.
Spastik-Behandlung: Funktionstraining
Beim Funktionstraining trainieren Menschen in einer Gruppe unter fachkundiger Anleitung – z. B. der Physiotherapie. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass dieses Training merklich positive Effekte auf Kraft, Ausdauer und Wohlbefinden hat. Diese Art des Trainings ist von den Kostenträgern anerkannt und ein wichtiger Baustein in der Therapie gegen Spastik.
Hydrotherapie
Auch das Training im Wasser gehört zum Funktionstraining. Wasser hat den Vorteil, dass es zum einen durch den Auftrieb das Körpergewicht veringert,, und zum anderen Bewegung durch seinen Widerstand erschwert. Beides erzielt gute Trainingseffekte in der Spastik-Therapie. Gleichzeitig wirkt Wasser die ganze Zeit leicht massierend auf den Körper und die Muskeln.4
Spastik-Behandlung: Hilfsmittel
Hilfsmittel oder Orthesen können eine Möglichkeit sein, die Spastik besser zu kontrollieren und Beweglichkeit zu erhalten.
Hintergrund: Orthesen sind angepasste Formen, Bandagen oder Schienen, die die Knochen und Gelenke entlasten sollen. In der Spastik-Therapie unterstützen sie dabei, die Spannung der Muskeln zu regulieren. Orthesen werden auf Rezept von einem Orthopädietechniker angefertigt.3
Spastik-Behandlung: Welches Training bei welcher Stärke?
Bei leichter Spastik lernen Sie z. B. mit welchen Übungen Sie Ihre Muskeln stärken und dehnen können.
Bei mittelschwerer bis schwerer Spastik kennt die Physiotherapie Mittel und Übungen, um Körperhaltungen zu trainieren, die den Muskeltonus reduzieren. Auch Muskel-Mobilisierungstechniken können eingesetzt werden. Spastik-Betroffene können die Dehnungsübungen aktiv (selbstständig) trainieren oder passiv (über eine andere Person) vornehmen lassen.
Wie unterstützt die Ergotherapie?
Ergo- und Physiotherapie arbeiten meist eng zusammen. Gemeinsam versuchen sie herauszufinden, inwiefern die körperlichen Symptome das tägliche Leben beeinträchtigen. Ihre Behandlungsziele – in der Therapie der MS und in der Therapie gegen Spastik – sind, die Selbstständigkeit der MS-Erkrankten zu erhalten. Dazu nötig sind bestimmte Bewegungen, die spastische Symptome berücksichtigen.
Beispiele:
- Wie funktioniert das Aufstehen und Hinsetzen bzw. die Bewegung zum und vom Stuhl weg, wenn eine Spastik beeinträchtigt?
- Welche Hilfsmittel können dabei unterstützen, sich im Alltag sicher und zielstrebig zu bewegen?
- Wie sollten Bett, Stuhl und andere Hilfsmittel beschaffen sein, dass sie ganz auf die Bedürfnisse des Erkrankten ausgerichtet sind?
Spastik: Welche Medikamente helfen?
Als Unterstützung zu den therapeutischen Angeboten können Medikamente zur Therapie gegen Spastik eingesetzt werden. Vor allem auch dann, wenn sie mit starken Schmerzen verbunden sind oder das Leben sehr stark einschränken.1, 3, 5, 6
Medikamente gegen Spastik bei MS: Muskeln lockern
Wirkstoffe, die den Muskeln die überhöhte Spannung nehmen, sind ein erster Schritt in der medikamentösen Spastik-Therapie. Diese Substanzen heißen auch Antispastika.
Beispiele sind:
- Baclofen: Baclofen imitiert einen körpereigenen Botenstoff, die Gamma-Amino-Buttersäure (GABA). GABA ist einer der wichtigsten hemmenden Botenstoffe im zentralen Nervensystem. Er sorgt dafür, dass weniger Nervenimpulse weitergeleitet werden. Ebenso ist er verantwortlich für einen guten Schlaf, lässt Muskeln erschlaffen und unterdrückt Muskelkrämpfe. Baclofen ist als Tablette erhältlich. In sehr schweren Fällen kann das Medikament in flüssiger Form über eine Pumpe direkt in die Flüssigkeit, die das Rückenmark umgibt, gegeben werden (intrathekale Baclofenpumpe).
- Tizanidin: Tizanidin wirkt über andere Botenstoffe hauptsächlich im Rückenmark. Dort reduziert der Wirkstoff die Freisetzung bestimmter weiterer Botenstoffe an den Nervenschaltstellen – wodurch es zu einer reduzierten Spannung in den Muskeln kommt.
Zu beachten ist, dass diese Medikamente der Spastik-Therapie den Widerstand in allen Muskeln senken – das kann manchmal die Standfestigkeit oder Gehfähigkeit beeinträchtigen. Von daher gilt es, ein gutes Gleichgewicht zwischen Dosis und Wirkung zu finden.
MS-Spastik-Therapie: Cannabinoide
Arzneimittel auf Cannabinoidbasis wirken über das körpereigene Endocannabinoid-System. Sie koordinieren die Übertragung verschiedener körpereigener Botenstoffe und greifen regulierend in die Reizweiterleitung an den Nerven ein. Das reduziert z. B. Krämpfe in den Muskeln und lindert Spastiken.
Therapie gegen Spastik: Botulinum
Botulinum ist ein Nervengift. Richtig (und vorsichtig) dosiert blockiert es die Reizweiterleitung an den Enden der Nervenzellen. Botulinum wird nur lokal zur Lösung von Spastiken einzelner Muskeln eingesetzt, also direkt an den Nerven des Muskels gespritzt. Injiziertes Botulinum wirkt nach ein paar Tagen und seine Wirkungen hält etwa drei bis sechs Monate an.7, 8
Therapie gegen Spastik: Operation
Abhängig vom Betroffenen und dem Ausmaß der Spastik können Operationen bei schweren Fällen Beschwerden lindern – das sind aber die letzten Alternativen (ultima ratio). Über orthopädische Eingriffe können u. a. die Sehnen verlängert, Gelenke gesichert oder Fehlbildungen vermieden werden.3
Häufige Fragen
Eine Spastik kann sich zum einen dadurch verstärken, dass die MS fortschreitet. Sie kann sich aber auch dadurch intensivieren, dass sich ein Auslöser nicht ausschalten lässt. Ein Beispiel ist Hitze im Sommer. Der Effekt, der die Hitze-Spastiken verstärkt, heißt Uhthoff-Phänomen9.
Akut helfen manchmal (Dehn-)Übungen, die Sie während der Physiotherapie gelernt haben oder auch z. B. der Einsatz von Wärme oder Kälte. Wenn möglich, schalten Sie den Auslöser aus. Sollten Sie merken, dass sich Ihre Spastiken insgesamt verschlimmern und für Sie „extrem“ werden, zögern Sie nicht, sich an Ihr Behandlungsteam zu wenden. Auch eine medikamentöse Therapie ist bei moderater bis schwerer Spastik in Erwägung zu ziehen.
Sprechen Sie mit Ihrem Behandlungsteam, wenn Sie Anzeichen einer Spastik an sich entdecken – und das möglichst früh. Auch wenn Sie Symptome haben, die Sie zunächst nicht einer Spastik zuordnen wie z. B. andauernde Rückenschmerzen. Dann kann eine geeignete Spastik-Therapie schnell einsetzen. Sie wird anfangs vor allem aus Physiotherapie und physikalischer Therapie bestehen.
„MAN MUSS BEREIT SEIN, SICH VOM LEBEN ZU LÖSEN, DAS MAN GEPLANT HAT, DAMIT MAN DAS LEBEN FINDET, DAS AUF EINEN WARTET.“
(unbekannt)
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Disclaimer
Diese allgemeinen Informationen haben nicht die Absicht, eine Erkrankung zu diagnostizieren oder medizinisches Fachpersonal zu ersetzen. Um die beste Beratung für Ihre Krankheit sowie Antworten auf Ihre medizinischen Fragen zu erhalten, sollten Sie einen Mediziner konsultieren. Nur ein Arzt kann Ihre Lage vollumfänglich und angemessen einschätzen und entscheiden, welche Behandlungen erforderlich sind.
Quellen:
- Rizzo MA, Hadjimichael OC, Preiningerova J, Vollmer TL. Prevalence and treatment of spasticity reported by multiple sclerosis patients. Mult Scler 2004; 10:589-595
- Hemmer B. et al., Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum[1]Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen, S2k-Leitlinie, 2021, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 24.11.2021)
- Platz T. et al. Therapie des spastischen Syndroms, S2k-Leitlinie, 2018, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. https://www.dgn.org/leitlinien
- Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft. Funktionstraining für Multiple-Sklerose-Erkrankte. https://www.dmsg.de/multiple-sklerose-infos/ms-behandeln/rehabilitationsverfahren/funktionstraining/
- Markova J., Essner U., Akmaz B. et al. Sativex® as Add-on therapy Vs. further optimized first-line ANTispastics (SAVANT) in resistant multiple sclerosis spasticity: a double-blind, randomized, clinical trial. International Journal of Neuroscience 2018; 24:1-28
- Drs. M. Murie and E. Moral (2011): Espasticidad en Esclerosis Múltiple, ISBN: 978-84-15198-27-7, Luzán 5, S.A., Madrid, Spain.
- Henze, T., Feneberg, W., Flachenecker, P. et al. Neues zur symptomatischen MSTherapie: Teil 2 – Gangstörung und Spastik. Nervenarzt 88, 1428–1434 (2017). https://doi.org/10.1007/s00115-017-0439-3
- Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft. Mobilität und Spastik. https://www.dmsg.de/multiple-sklerose-infos/ms-behandeln/symptomatische-therapie/mobilitaet-und-spastik/
- https://www.dmsg.de/multiple-sklerose-infos/ms-und-sport/outdoor-sport/wandern-und-trekking/
Letzter Zugriff auf Internetquellen 04.02.2021